Straßenhunde in der Türkei – ein ungelöstes Tierschutzproblem
Von Cornelia Baumsteiger (überarbeitet)
Straßenhunde sind in der Türkei seit Jahrhunderten Teil des Stadtbildes – besonders in Großstädten wie Istanbul, Ankara oder Izmir. Doch statt sich ihrer Verantwortung gegenüber diesen Tieren zu stellen, sehen viele Kommunen und Teile der Bevölkerung in ihnen ein Problem, das mit radikalen Mitteln beseitigt werden muss. Die Folge: grausame Vergiftungsaktionen, Massenerschießungen und systematische Tötungswellen – oft unter dem Deckmantel des Gesundheitsschutzes.
Tötungswellen unter dem Vorwand der Tollwut
Ende des vergangenen Jahres wurden in der gesamten Türkei neue, flächendeckende Maßnahmen zur „Eindämmung“ der Straßenhunde angeordnet. Auslöser war eine Reihe von Vorfällen, bei denen Menschen – darunter Kinder – von Hunden gebissen worden sein sollen. Besonders tragisch war der Tod eines kleinen Mädchens, der emotional stark ausgeschlachtet wurde. Schnell hieß es: Tollwut sei im Spiel gewesen. Doch laut Angaben von Tierschützern wurde in keinem der Fälle tatsächlich eine Tollwutinfektion nachgewiesen.
Im Fall des verstorbenen Mädchens wirft die offizielle Darstellung erhebliche Fragen auf:
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Der Hund, der das Mädchen gebissen haben soll – offenbar nachdem er provoziert wurde – wurde umgehend getötet und entsorgt, bevor eine Untersuchung stattfinden konnte.
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Das Kind erhielt keine Tollwut- oder Tetanusimpfung.
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Die Bisswunden wurden sofort zugenäht – ein medizinisch fragwürdiges Vorgehen.
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Woran das Mädchen tatsächlich gestorben ist, blieb ungeklärt.
Tierschutzorganisationen vermuten daher, dass die Tollwutangst lediglich als Vorwand dient, um politisch angeordnete Vernichtungsaktionen durchzusetzen – koordiniert vom Landwirtschaftsministerium, das gleichzeitig für das Verhindern eines umfassenden Tierschutzgesetzes verantwortlich gemacht wird.
Ein bekanntes Muster: Töten statt Vorsorge
Die Methoden sind nicht neu: Schon in den 1920er Jahren ließ die Stadtverwaltung von Istanbul sämtliche Straßenhunde einfangen und auf eine abgelegene Insel bringen, wo sie ohne Nahrung und Wasser verendeten. Der Protest der Bevölkerung blieb aus – trotz des tagelangen, qualvollen Sterbens, das viele mitanhören mussten. Doch auch dieses grausame Massaker führte nicht zum gewünschten Ergebnis: Schon wenige Jahre später waren die Straßen wieder von streunenden Hunden bevölkert.
Heute scheint sich dieses Szenario zu wiederholen. Laut Berichten von Tierschützern werden vergiftete Fleischstücke ausgelegt – oft mit Strychnin – eine der grausamsten Methoden, ein Tier sterben zu lassen. Andere Gemeinden greifen gleich zur Schusswaffe, wie etwa in Belek. Teilweise, so berichten Augenzeugen, treten sogar Kinder noch auf die Tiere ein, während diese im Todeskampf liegen.
Ignorierte Ursachen und wissenschaftlich widerlegte Strategien
Statt Ursachenbekämpfung betreibt man Symptombekämpfung. Tierschützer weisen immer wieder darauf hin:
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Die Zahl der streunenden Hunde hängt direkt mit dem Nahrungsangebot zusammen, insbesondere mit dem Müll auf den Straßen.
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Das Töten der Tiere führt nicht zu einer langfristigen Reduktion, im Gegenteil: Weniger Konkurrenz bedeutet höhere Fortpflanzungsraten – ein biologischer Mechanismus, der mehrfach belegt wurde.
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Effektive Tollwutprävention setzt bei Wildtieren an: durch flächendeckende Impfkampagnen (z. B. mit ausgelegten Ködern), nicht durch Massentötungen von Hunden.
Seit der ersten „Tollwutpanik“ im Jahr 1927 ist es den Behörden nicht gelungen, dieses Problem auf nachhaltige Weise zu lösen. Stattdessen herrscht Angst – geschürt durch Presse und Behörden – selbst vor Welpen. Auch Touristen reagieren zunehmend verunsichert auf die angespannte Situation und meiden bestimmte Regionen.
Verantwortung wird abgeschoben – trotz Beweisen
Behörden, vom Landwirtschaftsministerium bis zu einzelnen Stadtverwaltungen, weisen jede Verantwortung von sich. Gleichzeitig dokumentieren Fernsehteams und Tierschutzorganisationen regelmäßig staatlich veranlasste oder geduldete Aktionen. Videos zeigen vergiftete Tiere, zurückgelassenes Giftfleisch oder städtische Fahrzeuge, die Hunde einsammeln und „entsorgen“. Tierschützer versuchen, das Gift zu bergen, bevor es die Tiere erreicht – ein Wettlauf gegen die Zeit.
Ein Hoffnungsschimmer: Engagement von Tierschützern
Trotz dieser traurigen Realität gibt es auch Lichtblicke. Immer mehr Organisationen, freiwillige Helfer und Tierärzte setzen sich in der Türkei für kastrieren-statt-töten ein. Sie arbeiten oft unter schwierigsten Bedingungen, mit wenig Mitteln und ohne staatliche Unterstützung. Doch ihr Einsatz ist von unschätzbarem Wert für das Leben unzähliger Tiere.
Ein Beispiel: Society For The Protection Of Stray Animals (SHKD) in Istanbul
📞 Tel. +90 (212) 265 77 32 oder 274 63 64
📠 Fax +90 (212) 265 66 29
Was Sie tun können
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Informieren Sie sich über die Lage vor Ort, wenn Sie in die Türkei reisen.
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Verzichten Sie nicht auf Ihren Urlaub, sondern unterstützen Sie lokale Tierschutzprojekte – durch Spenden, Freiwilligenarbeit oder Öffentlichkeitsarbeit.
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Verbreiten Sie geprüfte Informationen, um Vorurteile abzubauen.
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Beteiligen Sie sich an Protesten oder schreiben Sie an zuständige Behörden.
Fazit
Die Straßenhundproblematik in der Türkei ist kein unlösbares Problem – aber sie ist komplex und braucht humane, wissenschaftlich fundierte und langfristige Strategien. Töten ist keine Lösung. Nur durch Aufklärung, Aufarbeitung und politischen Druck kann sich etwas ändern – für ein friedliches Miteinander von Mensch und Tier.